Tierschutzhunde – eine kritische Auseinandersetzung

Immer mehr Menschen nehmen einen Hund aus dem Tierschutz bei sich auf. Das ist generell eine sehr positive Entwicklung, wo es so viele Hunde ohne Zuhause gibt.

Aber einen Tierschutzhund aufzunehmen ist auch immer ein Wagnis.

Häufig ist die Vorgeschichte unbekannt. Ebenso die Rassen, die in einem Mix vereint sind. Aufgrund der Vorgeschichte bringen diese Second-Hand-Hunde häufig „Macken“ mit.
Ist es deswegen falsch, einen Tierschutzhund bei sich aufzunehmen? Definitiv nein. Aber es gibt ein paar Dinge zu beachten und abzuwägen.

Die Aufnahme eines Tierschutzhundes sollte wohl überlegt sein. Genau dieses Ziel verfolge ich mit diesem Artikel. Ich möchte die Vor- und Nachteile eines Tierschutzhundes diskutieren und Sie somit stärken, eine für Sie passende und auf Dauer glücklich machende Entscheidung zu treffen.
Bei meinen Ausführungen beziehe ich mich vor allem, wenn nicht explizit anders erwähnt, auf Hunde aus dem Auslandstierschutz.

Vergangenheit
Wie erwähnt, ist die Vergangenheit einer Fellnase aus dem Tierschutz häufig unbekannt. Nehmen Sie einen Welpen bei sich auf, ist dieser noch weitaus formbarer als ein erwachsener Hund.

Lebensbedingungen von Hunden, die aus dem Ausland stammen, unterscheiden sich häufig gravierend von denen hier in Deutschland. Die Vierbeiner, die im Tierheim landen, sind solche, die ausgesetzt wurden und oftmals eine zeitlang auf der Straße gelebt haben. Menschen haben sich ihrer entledigt, weil sie „anstrengend“ wurden – oder sie ein anderes Accessoire gefunden haben, das ihnen besser gefällt. Das klingt hart, ist aber in einigen Ländern Realität. Hunde sind ein dekoratives Anhängsel, das bei Bedarf ausgetauscht wird – gegen einen jüngeren Hund oder gegen einen einer anderen Rasse.

Andere Hunde sind vielleicht schon in einer Auffangstation geboren und kennen das Leben außerhalb der Gitterstäbe gar nicht. Wiederum andere dienten als Wachhunde und haben nur einen Radius von ein paar Metern kennengelernt, gerade so viele, wie die Kette, an der sie gehalten wurden, lang war.

Viele kennen das Leben im Haus überhaupt nicht.

Das Leben im Haus
Was passiert nun mit einem solchen Hund aus dem Auslandstierschutz, wenn er nach Deutschland kommt, in ein Zuhause, in dem sich die neuen Besitzer erwartungsvoll auf ihn freuen?
Erst einmal erlebt er einen großen Kulturschock.

Hatte er vorher kaum Bewegungsradius, ermöglichen ihm die neuen Halter ein Maximum an Freiheit. Häufig so viel, das der Vierbeiner damit überhaupt nicht umgehen kann, überfordert ist mit dem Bewegungsraum, den er hat. Wie soll er sich orientieren, ohne, dass er automatisch begrenzt wird durch eine Kette, eine Mauer, Zwingerstäbe?
Es bedarf einiger Arbeit des Menschen, dem Hund neue Orientierung zu geben – fernab von räumlichen Begrenzungen, über klar definierte Regeln und Freiräume.

Viele Hunde sind noch nicht stubenrein, wenn sie in ihr neues Zuhause kommen. Einem jüngeren Hund Stubenreinheit näherzubringen, geht natürlich weitaus schneller, als bei einem alten Hund – wobei es, wie bei allem, natürlich Ausnahmen gibt.

Aber das Leben im Haus, sofern sie es noch nicht kennen, bietet zahlreiche andere neue Herausforderungen: ein Dach über dem Kopf, geschlossene Räume, Türen; all das sind neue Eindrücke, die ein Vierbeiner verarbeiten muss und dazu führen können, dass er sich nicht freudig in sein neues Leben stürzt, sondern erst einmal verschüchtert sein kann, seine Geschäfte noch im Haus erledigt – und in geschlossenen Räumen keine Ruhe finden kann.
Und wenn dann noch der Staubsauger gezückt wird, oder die Waschmaschine läuft – das kann wahrlich für große Verwirrung sorgen!

Sozialisation
Tierschutzhunde sind natürlich für unsere Bedürfnisse häufig nicht „optimal“ sozialisiert, nicht nur, was das Leben im Haus betrifft.

Manchmal haben sie schlechte Erfahrungen mit bestimmten Menschen gemacht (z.B. Männern), manchmal haben sie gar keine Erfahrungen mit bestimmten Menschen gemacht (z.B. mit Kindern). Unsicherheit bzw. Furcht können von beidem herrühren. Diese Erfahrungen können zum Teil nachgeholt werden. Es braucht aber (insbesondere bei einem älteren Hund) eine längere Zeit als bei einem jungen Welpen, der in den zentralen Sozialisationsphasen mit den genannte Reizen von Anfang an positive Erfahrungen gemacht hat.
So lange der Hund in unsicheren Momenten mit Rückzug reagiert, ist dieses für viele Halter noch gut händelbar – aber es gibt auch solche Vierbeiner, die die “Flucht nach vorn” zu wählen. Damit umzugehen, kostet Nerven und braucht darüber hinaus manchmal die Unterstützung eines Hundetrainers.

Auch das Leben in Städten kann eine Herausforderung sein für einen Hund, der vorher vor allem das Landleben oder aber nur seinen Zwinger kennengelernt hat. Geräusche von vorbeifahrenden Autos, LKW, Einkaufspassagen mit vielen Menschen…eine Menge Eindrücke prasseln auf den Vierbeiner ein. Auch das Landleben kann für einen „Stadthund“ aufregend sein – z.B. mit diesen großen Geschöpfen, die nur entfernt Ähnlichkeit mit einem Hund haben und die neue Fellnase mit einem lauten „Muh“ begrüßen.

Ein Hund, der Menschen nicht als ernstzunehmenden Sozialpartner kennengelernt haben, schlimmstenfalls von Menschen misshandelt wurde, oder Zweibeiner nur als Futterspender erlebt haben, wird nicht automatisch eng mit Ihnen sein, weil Sie ihm ein Zuhause bieten. Wenn er gar gelernt hat, sich auf den Straßen über einen längeren Zeitraum selbst „durchzuschlagen“ und sich sein Futter zu besorgen, hat er autark gelebt. Er wird dieses, je nach Charakter, nicht automatisch aufgeben, weil Sie ihn nun versorgen.  Er wird Sie nicht zwangsläufig „anhimmeln“, weil Sie ihn gerettet haben. (Die Hunde gibt es natürlich auch! Es ist aber keine Selbstverständlichkeit.)

Der reinrassige Senfhund
Viele Tierschutzhunde sind, wie ausgeführt,  meist wahre Überraschungspakete, auch im Hinblick darauf, welche Rassen in dem Vierbeiner vereint sind. Häufig lässt sich nicht sagen, welche Rassen bei der Entstehung mitgespielt haben – es sind meist auch nicht nur zwei oder drei; wir haben es oft eher mit “Senfhunden” zu tun – solche zu denen „jeder mal seinen Senf dazu gegeben hat“.

Das bedeutet, dass natürlich auch nicht vorhersehbar ist, was für Eigenschaften, Bedürfnisse usw. sie mitbringen. Ein Herdenschutz-Mix ist nicht unbedingt die ideale Wahl für eine Familie, die Ersthundebesitzer sind. Ein Podenco-Mix (wenn dieser auch meist gut äußerlich zu erkennen ist) ist kein Hund, der einfach so „mitläuft“, ohne, dass man sich mit ihm beschäftigt und ihn entsprechend seiner Bedürfnisse auslastet.

„Ich habe mich in das Bild verliebt“
Auch unter Menschen gibt es die „Liebe auf den ersten Blick“. So kann es uns auch mit einer Fellnase ergehen. Aber behalten Sie im Hinterkopf, dass das Foto Ihnen nichts bis wenig über den Charakter eines Hundes sagt.
Im Idealfall haben Sie Aussagen der Tierschutzorganisation über das Verhalten des Hundes. Je nach Seriösität der Organisation sind diese mehr oder weniger wahrheitsgetreu.
Aber selbst, wenn sie das momentane Verhalten des Hundes beschreiben: In Auffangstationen und Tierheimen präsentieren sich Hunde, insbesondere in großer Gruppenhaltung, häufig anders als in einem Privathaushalt.

Krankheiten
Besonders bei Hunden aus dem Mittelmeerraum besteht die Gefahr, dass sie ernstzunehmende und unheilbare Krankheiten (beispielsweise Leishmaniose) mitbringen.
 
Ein Test auf Mittelmeerkrankheiten kann zuverlässig erst ab einem bestimmten Alter durchgeführt werden. Nur er aber kann verhüten, dass Sie sich einen schwer kranken Hund ins Haus holen, der möglicherweise nur eine verkürzte Lebenserwartung hat und eventuell hohe Tierarztkosten mit sich bringt.

Ohne Test besteht, je nachdem, woher ihr Hund stammt und welche Krankheiten dort vorkommen, das Risiko einer unerkannten Infektion.

Was will uns die Autorin damit sagen…?
Nach meinen Ausführungen könnte man davon ausgehen, ich sei eine Kritikerin davon, einen Tierschutzhund aufzunehmen.

Genau das Gegenteil ist der Fall!

Ich bin eine Verfechterin davon, Hunden aus dem Tierschutz ein Zuhause zu bieten.

Ich meine nur, dass es wohl überlegt sein sollte, einen Tierschutzhund aufzunehmen.
Es gibt nichts Schlimmeres, als unüberlegt aus Mitleid ein “Notfellchen” bei sich aufzunehmen, überfordert zu sein – und es dann wieder abgeben zu müssen. Diese Erfahrung möchte ich Mensch und Hund möglichst ersparen.

Überlegen Sie daher genau, was für Wünsche Sie an das gemeinsame Leben mit einem Hund haben. Möchten Sie eine bestimmte Beschäftigung mit dem Hund ausüben? Oder sind Sie flexibel genug, sich an die Bedürfnisse Ihres Hundes anzupassen? Könnten Sie damit leben, dass Sie sich Ihren Hund als potentiellen Therapiehund erträumt haben – aber er nicht die entsprechenden Veranlagungen mitbringt? Wären Sie stattdessen z.B. bereit, mit ihm Fährtenarbeit zu machen?

Reflektieren Sie kritisch, ob Sie genug Zeit, Geduld und Geld haben, mit Ihrem Hund nicht nur einen Gruppenkurs bei einer Hundeschule zu besuchen, sondern gegebenenfalls auch Einzelstunden bei einem kompetenten Trainer zu nehmen, um gezielt mögliche Probleme anzugehen.

Bitte sehen Sie meine Ausführungen als das, was passieren kann. Nicht zwangsläufig muss. Ich finde es nur fairer, das „Worst Case Szenario“ zu beschreiben, als Ihnen aufzutischen, wie völlig risikolos es ist, einen Tierschutzhund aufzunehmen. Denn das ist es nicht.

Aaaaaaaaaber….

Chancen
Zunächst einmal gilt es, festzuhalten, dass auch jeder Hund vom Züchter eine problematische Entwicklung nehmen kann. Der Vorteil ist, dass Sie früher darauf Einfluss nehmen und entscheidende Sozialisationsphasen effektiver nutzen können. Dennoch schützt das natürlich nicht davor, dass es auch mit einem Züchterhund Probleme geben kann.

Auch ist nicht in allem, was „Züchter“ heißt, auch automatisch ein seriöser Züchter „drin“: Durch die Übernahme eines Hundes aus dem Tierschutz unterstützen Sie so genannte „Vermehrer“ nicht, die günstig Hunde abgeben, aber häufig nicht auf den gesundheitlichen Zustand sowie Charakterfestigkeit der Elterntiere Wert legen – oder gar in Vermehrungsanlagen Hunde unter grausamsten Bedingungen halten und verpaaren.

Der gesundheitliche Allgemeinzustand von Tierschutzhunden ist oft gut, wenn erst einmal Parasitenprophylaxe bzw. -bekämpfung und Impfungen (zumindest die Grundimmunisierung) stattgefunden haben. Mixe sind häufig nicht so anfällig für Krankheiten wie überzüchtete Rassehunde.
Viele Mittelmeerkrankheiten sind bei frühzeitiger Diagnose meist heilbar. Selbst wenn Ihr Hund Leishmaniose haben sollte, so gibt es Medikamente, die die Krankheit weitestgehend in “Schacht halten” und so ein lebensverlängernd wirken.

Wie gesagt: Bei allem bisher Beschriebenen handelt es sich um das, was passieren kann. Genauso ist es möglich, dass Sie eine Fellnase aus dem Tierschutz aufnehmen und keinerlei ernstzunehmende Probleme haben.

Wenn Ihr Hund „Baustellen“ mitbringt, so kann man vieles mit Geduld und Beratung durch einen kompetenten Trainer wieder in den Griff bekommen. Das, was Ihr Hund vor allem braucht, um seinen Kulturschock zu überwinden, ist Orientierung an Ihnen. Wenn Sie wissen, wohin Ihr gemeinsamer Weg führen soll und ihm dieses auf eine für ihn verständliche Weise vermitteln, dann werden Sie in der Lage sein, ihn sicher zu führen.

Ich glaube aber, der entscheidende Punkt, der für die Aufnahme eines Tierschutzhundes spricht, ist: Sie tun etwas Gutes! Sie können einer armen Seele, die woanders keine Chance hätte, ein gutes Zuhause bieten!

Jeder Hund kann sich entwickeln und lernen. Und was glauben Sie, was für ein tolles Gefühl es ist, wenn man Zeit und Mühe in eine Fellnase gesteckt hat und es sich auszahlt, weil sie zu einem besonders innigen Team werden!

Wie sagt man so schön: Man kann nichts in Hunde hinein prügeln, aber vieles wieder heraus streicheln. Wenn Sie die Zeit und Geduld aufbringen können, dieses zu tun; bereit sind, Arbeit zu investieren und an Macken nicht zu verzweifeln, sondern sie anzugehen; keine festgefahrenen Vorstellungen haben, sondern Mut, sich einem Überraschungspakt anzunehmen: Dann trauen Sie sich!

Sie haben natürlich etwas zu verlieren, aber noch mehr zu gewinnen. Irgendwo wartet eine Fellnase sehnsüchtig auf ein neues Zuhause – und wenn diese einzieht, dann gewinnen Sie vielleicht einen neuen besten Freund.

Tierschutz in Deutschland
Sie können einige Risikofaktoren (z.B. unbekannte Vergangenheit) minimieren, wenn Sie einen Hund aus einem deutschen Tierheim aufnehmen, bei dem die Vorgeschichte bekannt ist. Nicht jeder Hund im Tierheim kommt aufgrund von Verhaltensproblemen dort hin. Immer wieder werden Fellnasen abgegeben, bei deren Haltern sich die familiären oder beruflichen Umstände geändert haben und die deswegen ihren Hund abgeben müssen. Mit der Aufnahme eines solchen Hundes sind Sie auf der „sichereren“ Seite – und tun trotzdem ein sehr gutes Werk!

Ein letztes Wort
Jedem Menschen, der einen Hund bei sich aufnehmen will, sollte das Recht zugesprochen werden, keinen Hund aus dem Tierschutz zu nehmen, weil er sich nach reiflicher Überlegung (noch) nicht zutraut. Ich finde es weitaus fairer und reflektierter, einen Hund vom Züchter zu nehmen, als eine Tierschutz-Fellnase unüberlegt „einfliegen“ zu lassen, um sie nach einer kurzen Phase der Überforderung wieder abzugeben. 

Ich selbst habe übrigens zwei von meinen drei Hunden aus dem Tierschutz – eine Schäferhündin aus einem deutschen Tierheim und einen spanischen Senfhund. 

Ich bin glücklich und würde jederzeit eine Not-Fellnase wieder bei mir aufnehmen. Meinen Ersthund habe ich aber vor Jahren noch bei einem Züchter gekauft – damals traute ich mir die Übernahme eines TS-Hundes noch nicht zu.
Wenn also jetzt die Zeit für Sie noch nicht reif ist – vielleicht ja irgendwann in der Zukunft.

(c) Johanna Pelz, www.miteinanderlernen.de